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Wir wissen auch nicht, wie all dies in Worte fassen.

Gaza-Rede der Frankfurter Ortsgruppe der interventionistischen Linken am 21. Juni 2025 in Frankfurt a.M.
Wie viel Gewalt, wie viel Leid, wie viel Ungerechtigkeit kann ein Mensch, eine Familie, eine Bevölkerung ertragen? Wir wissen es nicht. Wir wissen auch nicht, wie all dies in Worte fassen. Doch wir spüren, dass die Worte des Schriftstellers Omar El Akkad eine Ahnung von all dem vermitteln, wenn dieser schreibt:

„Die Bewahrung der Werte der zivilisierten Welt erfordert es, eine Bibliothek in Brand zu setzen. Eine Moschee in die Luft zu jagen. Olivenbäume zu verbrennen. Sich in Dessous geflüchteter Frauen zu kleiden und dann Bilder davon zu machen. Universitäten dem Erdboden gleichzumachen. Schmuck, Kunst, Banken, Lebensmittel zu plündern. Kinder zu verhaften, weil sie Gemüse pflücken. Kinder zu erschießen, weil sie Steine schmeißen. Gefangene in Unterwäsche zur Schau zustellen. Einem Mann die Zähne zu brechen und ihm eine Klobürste in den Mund zu stecken. Kampfhunde auf einen Jungen mit Downsyndrom zu hetzen und ihn dann dem Tod überlassen. Sonst könnte die unzivilisierte Welt gewinnen.”

Was wir jedoch wissen, ist, dass Gewalt, Leid und Ungerechtigkeit in Gaza auch mit uns etwas gemacht haben, auch weiterhin etwas mit uns machen. Uns, das sind wir hier allein diesem Land. Uns, das sind wir als Linke hier. Uns, das sind auch wir als interventionistische Linke. Zeug:innen zu sein und dabei zu leise, zu selten, zu wenig, oftmals auch gar nicht, dagegen einzustehen, zersetzt das eigene Gewissen, entstellt das eigene Gesicht, hinterlässt seine Wunden. Und selbst wenn die Wunde eines Tages verheilt sein sollte, es bleibt doch die Narbe. Warum also, haben wir uns unbewusst für diesen dunklen Pfad entschieden?

Es gab und gibt auch heute noch nicht Wenige hierzulande, die weiterhin nichts sehen wollen, nichts spüren wollen, nichts denken wollen. Die teilweise die Gewalt, das Leid und die Ungerechtigkeit befürworten, ja, stellenweise sogar bejubeln und gar eine erschreckende Lust dabei verspüren, Menschen in ihrem Schmerz zuzuschauen. Viel zuoft herrscht hier eine ganz besondere Form der Grausamkeit. Eine, die den Menschen ihr Menschsein abspricht. Weil sie nicht so sind, wie die deutsche Dominanzgesellschaft? Weil sie als Ungleiche betrachtet werden? Weil eine Regierung, eine Armee und eine Bevölkerung sich ihnen gegenüber wie eine Herrenrasse verhält? Wie viel Rassismus steckt auch in uns, der uns stumm und still macht gegenüber der eigenen Regierung, die aktive Beihilfe zu dieser Gewalt, diesem Leid, dieser Ungerechtigkeit leistet? Ab welchem Punkt sagen wir hier als Linke und in diesem Land: es reicht?

Mit dem Rassismus geht eine Verrohung unserer Gesellschaft einher. Und darin verfangen, merken wir nicht einmal, dass das größtes Unbehagen und die stärkste Angst der hiesigen Linken oftmals jene ist, mit eventuell falschen Verbündeten auf der Straße zu sein. Doch für die Menschen in Palästina liegt seit anderthalb Jahren die größte Angst darin, dass die eigene Familie ausgelöscht wird - wie in Gaza - oder das eigene Leben einem Prozess der Gazafizierung Stück für Stück ausgesetzt wird - wie im Westjordanland. Während für die einen also ihre komplette Existenz abhängig ist von materiell vorhandenen und umgesetzten kolonial-rassistischen Besitzansprüchen, so lassen sich die anderen von einem ideologisch verbreiteten diskursiven Narrativ leiten, wonach diejenigen, die in Deutschland seit 20 Monaten ihren Liebsten am Ausgelöschtwerden zusehen können, eventuell genauso schlimm sein könnten als die Hamas. Von einer falschen Vorannahme auszugehen birgt auch immer die Gefahr, jedmögliche Schlussfolgerung als wahr zu begreifen.

Wohlgemerkt: diese Verrohung mit Blick auf palästinensisches Leben ist keineswegs neu, sondern der gegenwärtige niederschmetternde Höhepunkt einer Politik, die Grausamkeit, Entmenschlichung & Empathielosigkeit gegenüber nicht-Weißem Leben Schritt für Schritt normalisiert, ja, geradezu salonfähig gemacht hat. Das Foltersystem in Abu Graibh und weiteren Geheimgefängnissen weltweit; der westliche Drohnenkrieg und gezielte Hinrichtungen in aller Welt; das Mittelmeer als Massengrab Schwarzer Körper - all das ist längst der westliche, ist längst unser aller Normalzustand. Palästina, mit all seiner jahrzehntelangen Erfahrung an Erniedrigung und Entrechtung, ist der allgegenwärtige Name, den dieser Normalzustand aktuell trägt.

Trotz alledem, wir wissen auch etwas anderes. Wir wissen, dass der Widerstand italienischer und französischer Hafenarbeiter:innen gegen Waffenexporte ein großartiger Widerstand ist. Wir wissen es, weil diese Arbeiter:innen für die Verteidigung des Lebens eintreten. Und so sind auch die Proteste am Frankfurter Flughafen gegen Waffenexporte großartige Proteste, denn auch sie verteidigen das Leben.
Und so braucht es mehr solcher Handlungen, von uns als Gesellschaft, uns als Linke, uns als interventionistische Linke. Weil diese Handlungen auch ein Kampf gegen die Verrohung sind. Sie sind Handlungen gegen den Krieg und gegen die Militarisierung, die sich um uns immer breiter macht und gegen die wir nur gemeinsam etwas ausrichten können.

Wir sind wieder am Nullpunkt angelangt. Heute heißt dieser Nullpunkt Gaza. Heute schreit der Horizont weder Revolte, noch Aufstand oder gar Revolution - von allem sind wir zu weit entfernt. Heute schreit der Horizont nach etwas viel Kleinerem, das doch Unendlich groß ist und genau deswegen immer wieder angegriffen wird: er schreit nach Menschlichkeit. Und wenn Worte eine Bedeutung haben sollen, so müssen sie Wirklichkeit werden.

Rede 21.06.25 [1]

Source URL (modified on 06/23/2025 - 18:11): https://zeitung.interventionistische-linke.org/it/beitrag/wir-wissen-auch-nicht-wie-all-dies-worte-fassen

Links
[1] https://zeitung.interventionistische-linke.org/sites/default/files/attachements/gaza-demo-rede_21._juni_2025.pdf